C
Craigs
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Vorab: wenn Sie keine Affinität zu Technik, Physik, Zahlen, Statistiken, Charts und Geld haben, lesen Sie nicht weiter; dieser kleine Aufsatz wird Ihnen nichts bedeuten. Ebenso, falls Sie mit meiner Argumentation und 'Schreibe' (siehe: "Hilfe, mein Ebike ist jetzt zu schnell geworden") nicht einverstanden sind.
Auch habe ich nicht vor, dieses Thema hier selber weiter zu kommentieren bzw. diskutieren. Wenn Sie Denk- bzw. Rechenfehler finden, teilen Sie mir dies bitte per PM mit - danke!
Nach Ende der zweiten Saison wird es Zeit, einmal Bilanz zu ziehen zum Thema 'China Elektro-Klapprad'.
Ich habe ein solches Anfang 2019 aus frugaler Neugier bei einem bekannten asiatischen Anbieter erworben.
Für damals rund 415Euro erhielt man (über Polen aus der EU per Bahn!) ein, wie ich nun weiß, extrem seltenes Exemplar einer offensichtlichen Erst- bzw. Kleinserie der Firma 'Samebike', Modell 'JG-20'. Es sieht optisch dem klassischen "Old School" Klapprad ziemlich ähnlich, was Rahmen- und Klapp-/Falt-Technik angeht. Es verfügt über Stahl-Radspeichen und eine 6Gang-Shimano-Kettenschaltung, zwei mechanische Scheibenbremsen, einen 250W-Nabenmotor hinten sowie einen hinter dem Sattel installierten Wechsel-Tornister (wie bei Rex, ALDI) mit dem eher bescheidenen 8Ah/36V/288Wh Akku-Pack. 22kg geballte Rad-Power 'Made in China' eben.
Als Controller wurde ein sehr einfacher X863AA005 verbaut, die Amatur besteht aus einem simplen Schlüsselschalter, Gasdrehgriff sowie einer "Saxin"-Spannungs-Anzeige (3LEDs), ohne irgendwelche Leistungs-Stufen zur Regelung der Tretunterstützung. Sprich: "Full Power" oder "No Power" - "take it or leave it".
Schnell wurde mir auch als Neuling klar, dass dieses Pedelec 'anders' ist als die meisten seiner Artgenossen: nach einer Einfahrzeit von genau drei Akkuladungen erhöhte sich seine normale motorunterstützte Geschwindigkeit von 20km/h auf 25km/h, ungefragt! Dieser Umschaltprozess war nicht absehbar, ist offenbar auch nicht reversibel, diente klar den schonenden 'Einfahr-Zyklus' des gesamten Systems aus Mechanik und Elektrik. Ei der Daus; unglaublich, aber eben wahr, wie andere inzwischen weltweit bestätigt haben. Was musste ich hier im Forum argumentatorisch kämpfen, dieses kuriose Einfahrverhalten glaubhaft zu machen...
Durch die hohe Kadenz (nur ca. 4,8m pro Kurbel-Umdrehung) ergab sich bei nun obligatorischen 25km/h eine eher unangenehm schnelle Demmelei auf diesem 20Zoll-Fahrrad, da der Motor nun unerbittlich auf Vmax anschiebt, sobald man in die Pedale tritt.
Abhilfe schaffte die manuelle Deaktivierung des PAS-Sensors am Tretlager per Schalter. Somit konnte die Motorleistung wahlweise NUR per Gasdrehgriff, dafür aber eben vollproportional, zugeführt werden. Damit ließ sich das Klapprad nun vernünftig bei angenehmen 18-23km/h 'demmeln', und die Reichweite seines kleinen Akkus wuchs erheblich.
Statt der serienmäßigen 6,4Wh/km komme ich nun mit fast 60% weniger Leistungsbedarf aus, da ich den Motor nur im Bedarfsfall (Gegenwind, Steigung, Überholen, Anfahren etc.) verwende. In der Ebene komme ich ohne oder nur mit geringer, stufenlos dosierter Unterstützung (meist um 50-70W) gut voran.
Zur besseren Überwachung des Energie-Haushalts habe ich wg. des fehlenden Displays einen GTPower-Leistungsmesser installiert, der in Echtzeit Strom-/Spannungs- und Leistungswerte sowie den akkumulierten Energieverbrauch dokumentiert. Das sollte sich als sehr sinnvoll und hilfreich erweisen.
Womit wir zu den Zahlen kommen:
Im Gegensatz zu 'richtigen' Tourenfahrrädern sind solche Klappräder mit den kleinen, pummeligen 20x1,75Zoll-Reifen weder ergonomisch noch energetisch für längere Fahrstrecken geeignet. Weder die Sitzposition, Lenkgeometrie, Übersetzungs-Verhältnisse noch Reifenabmessungen dienen einer effizienten und bequemen Fortbewegung. Hinzu kommen die vermutlich sehr simplen chinesischen Bauteile wie Reifen, Radlager, Nabenmotor usw.
Ich habe aus Interesse den elektrischen Leistungsbedarf p=f(v) sowie die Reibungsverluste über dv/dt sowie s=f(v0) im Experiment ermittelt, kam zu recht betrüblichen Ergebnissen: der benötigte Kraftaufwand meines Fahrrads erwies sich als doppelt so hoch wie die Literaturwerte normaler 26/28-Zöllers. Au Backe.
Bei Tempi um 18-20km/h werden satte 180W an Antriebsleistung benötigt, wobei die Verluste des Kettenantriebs beim Treten selber noch nicht einmal berücksichtigt sind. So gesehen wird eine 50km Radtour auf diesem Klapprad so kräftezehrend wie ein 100km-Trip auf einem herkömmlichen Rad. Das kann man aus sportlich ambitionierter Sicht natürlich auch positiv sehen, denn der "Trimm-Dich!"-Effekt ist mit einem Klapprad dem eines Tourenrads klar überlegen. Wenn mich also auf meinen Fahrten ein stramm-wadiger Rennradler bei gleicher Kadenz und 10km/h mehr Tempo überholt, leiste ich dennoch MEHR als er, weil mein Drahtesel so viel störrischer ist als sein schmalspuriger Vollblut-Hengst!!
Im Gegenzug lassen sich nun auch Abschätzungen der theoretischen Reichweite des kleinen 288Wh-Akkus anstellen, sowohl im reinen 'Moped'-Modus als auch im normalen unterstützten Tret-Betrieb.
Wird dieses billige China-Pedelec im 'Standard'-Betrieb (mit aktivem PAS-Tretsensor) betrieben, liegt die Reichweite einer Akku-Ladung als Trethilfe bei recht bescheidenen 40-45km, im Wesentlichen durch das dauernde sinnfreie Beschleunigen bei jedwedem Treten der Pedale verursacht. Bei Tempo 20 in der Einfahrzeit war sie wg. der geringeren Leistungsabgabe mit ca. 53km deutlich höher, weil eben weniger Leistung freigegeben wurde.
Im vollmotorisierten ("Moped"-) Modus ohne Mittreten verringert sich die Reichweite je nach Geschwindigkeit auf gerade einmal 15-20km, der Akku wird bei Volllast innerhalb einer guten Stunde von 41V auf die Begrenzer-Spannung von ca. 31V "leergezuzelt". Dann schaltet die Elektronik unerbittlich und irreversibel ab; man muss an die Steckdose zum Aufladen, selbst wenn der in die Knie gegangene Akku sich wieder auf 34V 'aufrappelt' im Anschluss an eine kurzzeitige Belastung.
Wobei 'Volllast' bei diesen 250W-Motoren eine relative Sache ist: mein GT-Power-Meter attestiert bei Bergfahrten längere Zeitspannen mit bis zu 480W Gesamtleistung. Da rauschen satte 13Ampere durch die Leitungen, mehr als ich bei der Dimensionierung meiner Kabel geplant hatte. Ich verliere tatsächlich über 1% Systemleistung durch die Anbringung und Verkabelung des Leistungs-Monitors an der Lenkstange. 18AWG (20mOhm/m) ist etwas knapp, aber ich hatte kein 16AWG (12mOhm/m) zur Hand. Im Normalbetrieb bei 50-150W spielt das aber keine so große Rolle, nur bei Bergstrecken und maximaler Leistungsabgabe des Akkus.
Zwei Jahre (sprich "Sommer") lang habe ich jede Radtour, jede Akku-Ladung akribisch dokumentiert, mit Software die Strecken aufgezeichnet, mit eigenen Tabellen die Ladekurven und Energie-Mengen für diese Fahrten ermittelt.
Die längste Tour auf meinem ‚Klappi‘ verlief über knappe 80km(!), bei einem Gesamt-Schnitt von knapp 19km/h und etwa 0,25kWh Stromverbrauch. Passt!
Dabei komme ich zu folgenden Erkenntnissen:
- bei Fahrten um 18-20km/h liefert der Motor im Mittel 60W, ich selber die restlichen 120W. Wenn Motor und ich es aushalten, reicht ein voller Akku also tatsächlich locker für 80km Fahrtstrecke aus; dafür ist man entsprechend runde vier Stunden unterwegs, zB auf dem Vulkanradweg in den Vogelsberg.
Zum Vergleich: mit aktivem PAS (und somit Geschwindigkeiten um 25km/h) werden ca. 180W vom Motor beigesteuert (die restlichen ca. 100W wiederum von mir)
- der elektrische Energieverbrauch im unterstützten Fahrbetrieb liegt demnach bei 3-4Wh/km, wenn man selber ordentlich zum Vortrieb beisteuert, z.B. auf Ebenen komplett auf Motorunterstützung verzichtet. Mit PAS liegt er hingegen bei ca. 6,4Wh/km.
- die Ladeverluste des mitgelieferten Netzteils sind recht gering. Es erwärmt sich zwar beim Laden, aber die gemessenen Energieflüsse IN den Akku entsprechen recht gut den auf Fahrten daraus abgegebenen Energiemengen über das vorab kalibrierten GT-PowerMeter. Ein 'leerer' Akku wird mit 80W (um zwei Ampere) geladen, nach drei Stunden regelt der Netzteil-Controller herunter, sodass ein komplett leerer Akku erst nach gut vier Stunden voll aufgeladen ist.
- Was man rechnerisch nicht ermitteln kann, ist die wahre Gesamtkapazität des "8Ah"-Akkus, da er mit Sicherheit vorzeitig abgeschaltet wird, um Schaden an den verbauten Li-Zellen zu verhindern. Man müsste den Standard-Tornister mal aufschrauben und die Zellen darin genauer inspizieren und zählen.
Kosten:
da dem 415Euro China-Pedelec eine Reihe zwingend notwendiger Anbauteile für die deutsche StVO-Konformität fehlten, habe ich diese zu Beginn meiner Fahrten besorgt und installiert: Rücklicht, Seitenreflektoren, Klingel, Spiegel; zudem einen netten Fahrrad-Computer zur Ermittlung der Fahrstrecken, Geschwindigkeiten, Zeiten etc. Dann noch ein paar Satteltaschen, den besagten Leistungs-Monitor von GTPower. Unterm Strich hatte ich also ca. 450Euro in dieses Fahrzeug versenkt, damit es ansehnlich und nicht zu auffällig wird im Straßenverkehr. Hierzulande verboten bleibt es wegen des ‚Moped‘-Gasdrehgriffs ohnehin.
Nach nunmehr über 1200km Gesamtfahrstrecke habe ich nur EIN Verschleißteil zu ersetzen: den Hinterreifen!
Dieser war bereits nach 700km deutlich abgefahren, das Profil 'wech'. Das dürfte wohl weniger dem *brutalen* Drehmoment des Heck-Nabenmotors als vielmehr der offenbar schlechten und weichen China-Gummimischung geschuldet sein, die man zudem nur mit maximal 2.9bar belasten darf. Der geringe Radumfang (1,50m) ist letztendlich ein weiterer Grund, denn die erreichbare Laufleistung liegt bei einem 20Zoll-Rad naturgemäß gut 30% unter der normaler 28Zoll-Tourenreifen. Aber solche 47-406er Reifen kosten nicht die Welt, um 10Euro das Stück. Ich habe diesem pechschwarzen Fahrrad nun einen Satz 'weiße Socken' zur Aufhellung seiner Erscheinung spendiert. Diese vertragen bis zu 4,5bar; ob dies die arg hohe Rollreibung etwas reduzieren wird?
Zweimal 'hakte' die hintere Scheibenbremse (ließ nach dem Bremsen nicht mehr los). Das lag aber an einem verklemmten Bowdenzug, dessen Endnippel sich unter den Satteltaschen irgendwie im Rahmen verfangen hatte. Die Bremsbeläge sind trotz Einsatz des Fahrrads im Mittelgebirge (Rhön, Vogelsberg) immer noch gut nutzbar.
Der Akku zeigt nach nunmehr 25 Ladezyklen keinerlei Schwächen, die Ladekurven und Spannungsverläufe während der Fahrt unter Last sind unverändert, ebenso die erzielbare Reichweite.
Wenn man 20% Abschreibung des Anschaffungspreises über fünf Jahre einkalkuliert, dann haben mich diese bisher 1200km um die 0,15Euro pro Kilometer gekostet, vergleichbar mit den Betriebskosten meines Benzin-Mokicks. Energiekosten spielen beim Pedelec so gut wie keine Rolle; die lagen bei weniger als 2,50Euro für den benötigten Ladestrom, trotz deutscher Weltrekord-Strompreise (Dank an unsere ‚Schmalspur-Physikerin‘ für diese weltweit diskutierte Glanzleistung!)
Dass man mit solch' einem simplen Elektro-Klapp-Fahrrad aus Fernost keine 15000km schaffen wird, war mir von Anfang an klar. Dass es aber für dieses geringe Geld doch erstaunlich brav seinen Dienst verrichtet, mir meine hessische Umgebung auf den vielen Fahrten durch die Natur (weil als Pseudo-Moped 'illegal' auf der Straße!) klaglos nähergebracht hat, hat mich doch angenehm überrascht.
Vor allem aber zwang es mich auf meine alten Tage, nicht nur meine müden Muskeln, sondern auch mein altes Schulwissen wieder etwas aufzufrischen. Mich mit Messdaten, Physik, Mathe und betriebswirtschaftlichen Kalkulationen auseinanderzusetzen, alles mal durchzurechnen:
Nach meiner letzten 70km-Tour hatte der Akku 240Wh abgegeben, ich selber ca. 420kcal beigetragen, weniger als den Brennwert einer 100g Tafel Schokolade! Nun ist aber Wirkungsgrad der menschlichen Beinmuskulatur (<=20%) NOCH schlechter als der dieses Klapprads. Das erklärt meinen Heißhunger nach der langen Tretarbeit...
Jetzt ist mein "JG-20" wieder eingemottet, der Akku bei 80% über den Winter hin im Haus gelagert.
Auf ein Neues, in 2021?
Nachtrag Nov 2020:
Meine Gemeinde-Verwaltung stellte mir probeweise ein „EBIKE Urban Metropolitan“ für Test- und Vergleichszwecke zur Verfügung. Ich hatte zwei Wochen Zeit, dieses Fahrrad auf den mir bekannten Strecken zu betreiben und die Erfahrungen zu relativieren. Mir ist durchaus bewusst, dass ich hier ‚Äpfel mit Birnen‘ vergleiche, denn das „EBIKE Urban“ kostet laut Recherche circa das SIEBEN-fache meines Samebike JG20, ist deutlich besser ausgestattet (Licht, Nabenschaltung..) und qualitativ hochwertiger (Bosch-Elektrik, Verarbeitung). Ob sich dieser Mehrpreis lohnt, hängt vom eigenen Anspruch sowie der geplanten Nutzung ab. Persönlich würde ich mir sicherlich lieber alle 5 Jahre ein neues China-Rad kaufen, und hätte theoretisch auch in 20 Jahren - mit 80 Lenzen! - wiederum ein nagelneues Fahrrad (plus etliche alte als Ersatzteillager). Das teure Urban Metropolitan und sein Akku werden in 2040 kaum noch brauchbar sein. Laut Medienberichten gibt es bereits heute Probleme bei der Beschaffung von Bosch-Ersatzteilen älterer Pedelec-Antriebe (Referenz: SWR Marktcheck-Sendung zu diesem Thema, 11.Jun 2019).
Hier noch eine kleine Übersicht der Vergleichs-Daten, teilweise selber ermittelt, gemessen bzw. berechnet:
Eine Betrachtung der mittleren Reibungskräfte beider Fahrräder im Vergleich zeigt das Dilemma des billigen China-Klapprads deutlich: während das EBIKE Urban Metropolitan bei 20km/h ca. 16Newton an Bremskräften (Lager, Reifen, Luftwiderstand etc.) generiert, sind es beim Samebike JG20 über 10 Newton (1kp) mehr.
Diese 10N Differenz mögen klein erscheinen, bedeuten aber im Umkehrschluss: auf dem China-Fahrrad fährt man rechnerisch ständig auch in der Ebene bergauf. Die Differenz entspricht ziemlich genau einem permanenten, zusätzlichen Anstieg von einem Grad mehr, wenn man den Kraftaufwand als Hangabtrieb interpretiert: beim Samebike geht es stets mit 2,4% bergauf, beim EBIKE Urban nur mit 1,4%. Das ist ein spürbarer Unterschied, der gerade bei Ausrollversuchen s=f(v0) das leichtgängigere Fahrrad eindeutig identifiziert.
Auch habe ich nicht vor, dieses Thema hier selber weiter zu kommentieren bzw. diskutieren. Wenn Sie Denk- bzw. Rechenfehler finden, teilen Sie mir dies bitte per PM mit - danke!
Nach Ende der zweiten Saison wird es Zeit, einmal Bilanz zu ziehen zum Thema 'China Elektro-Klapprad'.
Ich habe ein solches Anfang 2019 aus frugaler Neugier bei einem bekannten asiatischen Anbieter erworben.
Für damals rund 415Euro erhielt man (über Polen aus der EU per Bahn!) ein, wie ich nun weiß, extrem seltenes Exemplar einer offensichtlichen Erst- bzw. Kleinserie der Firma 'Samebike', Modell 'JG-20'. Es sieht optisch dem klassischen "Old School" Klapprad ziemlich ähnlich, was Rahmen- und Klapp-/Falt-Technik angeht. Es verfügt über Stahl-Radspeichen und eine 6Gang-Shimano-Kettenschaltung, zwei mechanische Scheibenbremsen, einen 250W-Nabenmotor hinten sowie einen hinter dem Sattel installierten Wechsel-Tornister (wie bei Rex, ALDI) mit dem eher bescheidenen 8Ah/36V/288Wh Akku-Pack. 22kg geballte Rad-Power 'Made in China' eben.
Als Controller wurde ein sehr einfacher X863AA005 verbaut, die Amatur besteht aus einem simplen Schlüsselschalter, Gasdrehgriff sowie einer "Saxin"-Spannungs-Anzeige (3LEDs), ohne irgendwelche Leistungs-Stufen zur Regelung der Tretunterstützung. Sprich: "Full Power" oder "No Power" - "take it or leave it".
Schnell wurde mir auch als Neuling klar, dass dieses Pedelec 'anders' ist als die meisten seiner Artgenossen: nach einer Einfahrzeit von genau drei Akkuladungen erhöhte sich seine normale motorunterstützte Geschwindigkeit von 20km/h auf 25km/h, ungefragt! Dieser Umschaltprozess war nicht absehbar, ist offenbar auch nicht reversibel, diente klar den schonenden 'Einfahr-Zyklus' des gesamten Systems aus Mechanik und Elektrik. Ei der Daus; unglaublich, aber eben wahr, wie andere inzwischen weltweit bestätigt haben. Was musste ich hier im Forum argumentatorisch kämpfen, dieses kuriose Einfahrverhalten glaubhaft zu machen...
Durch die hohe Kadenz (nur ca. 4,8m pro Kurbel-Umdrehung) ergab sich bei nun obligatorischen 25km/h eine eher unangenehm schnelle Demmelei auf diesem 20Zoll-Fahrrad, da der Motor nun unerbittlich auf Vmax anschiebt, sobald man in die Pedale tritt.
Abhilfe schaffte die manuelle Deaktivierung des PAS-Sensors am Tretlager per Schalter. Somit konnte die Motorleistung wahlweise NUR per Gasdrehgriff, dafür aber eben vollproportional, zugeführt werden. Damit ließ sich das Klapprad nun vernünftig bei angenehmen 18-23km/h 'demmeln', und die Reichweite seines kleinen Akkus wuchs erheblich.
Statt der serienmäßigen 6,4Wh/km komme ich nun mit fast 60% weniger Leistungsbedarf aus, da ich den Motor nur im Bedarfsfall (Gegenwind, Steigung, Überholen, Anfahren etc.) verwende. In der Ebene komme ich ohne oder nur mit geringer, stufenlos dosierter Unterstützung (meist um 50-70W) gut voran.
Zur besseren Überwachung des Energie-Haushalts habe ich wg. des fehlenden Displays einen GTPower-Leistungsmesser installiert, der in Echtzeit Strom-/Spannungs- und Leistungswerte sowie den akkumulierten Energieverbrauch dokumentiert. Das sollte sich als sehr sinnvoll und hilfreich erweisen.
Womit wir zu den Zahlen kommen:
Im Gegensatz zu 'richtigen' Tourenfahrrädern sind solche Klappräder mit den kleinen, pummeligen 20x1,75Zoll-Reifen weder ergonomisch noch energetisch für längere Fahrstrecken geeignet. Weder die Sitzposition, Lenkgeometrie, Übersetzungs-Verhältnisse noch Reifenabmessungen dienen einer effizienten und bequemen Fortbewegung. Hinzu kommen die vermutlich sehr simplen chinesischen Bauteile wie Reifen, Radlager, Nabenmotor usw.
Ich habe aus Interesse den elektrischen Leistungsbedarf p=f(v) sowie die Reibungsverluste über dv/dt sowie s=f(v0) im Experiment ermittelt, kam zu recht betrüblichen Ergebnissen: der benötigte Kraftaufwand meines Fahrrads erwies sich als doppelt so hoch wie die Literaturwerte normaler 26/28-Zöllers. Au Backe.
Bei Tempi um 18-20km/h werden satte 180W an Antriebsleistung benötigt, wobei die Verluste des Kettenantriebs beim Treten selber noch nicht einmal berücksichtigt sind. So gesehen wird eine 50km Radtour auf diesem Klapprad so kräftezehrend wie ein 100km-Trip auf einem herkömmlichen Rad. Das kann man aus sportlich ambitionierter Sicht natürlich auch positiv sehen, denn der "Trimm-Dich!"-Effekt ist mit einem Klapprad dem eines Tourenrads klar überlegen. Wenn mich also auf meinen Fahrten ein stramm-wadiger Rennradler bei gleicher Kadenz und 10km/h mehr Tempo überholt, leiste ich dennoch MEHR als er, weil mein Drahtesel so viel störrischer ist als sein schmalspuriger Vollblut-Hengst!!
Im Gegenzug lassen sich nun auch Abschätzungen der theoretischen Reichweite des kleinen 288Wh-Akkus anstellen, sowohl im reinen 'Moped'-Modus als auch im normalen unterstützten Tret-Betrieb.
Wird dieses billige China-Pedelec im 'Standard'-Betrieb (mit aktivem PAS-Tretsensor) betrieben, liegt die Reichweite einer Akku-Ladung als Trethilfe bei recht bescheidenen 40-45km, im Wesentlichen durch das dauernde sinnfreie Beschleunigen bei jedwedem Treten der Pedale verursacht. Bei Tempo 20 in der Einfahrzeit war sie wg. der geringeren Leistungsabgabe mit ca. 53km deutlich höher, weil eben weniger Leistung freigegeben wurde.
Im vollmotorisierten ("Moped"-) Modus ohne Mittreten verringert sich die Reichweite je nach Geschwindigkeit auf gerade einmal 15-20km, der Akku wird bei Volllast innerhalb einer guten Stunde von 41V auf die Begrenzer-Spannung von ca. 31V "leergezuzelt". Dann schaltet die Elektronik unerbittlich und irreversibel ab; man muss an die Steckdose zum Aufladen, selbst wenn der in die Knie gegangene Akku sich wieder auf 34V 'aufrappelt' im Anschluss an eine kurzzeitige Belastung.
Wobei 'Volllast' bei diesen 250W-Motoren eine relative Sache ist: mein GT-Power-Meter attestiert bei Bergfahrten längere Zeitspannen mit bis zu 480W Gesamtleistung. Da rauschen satte 13Ampere durch die Leitungen, mehr als ich bei der Dimensionierung meiner Kabel geplant hatte. Ich verliere tatsächlich über 1% Systemleistung durch die Anbringung und Verkabelung des Leistungs-Monitors an der Lenkstange. 18AWG (20mOhm/m) ist etwas knapp, aber ich hatte kein 16AWG (12mOhm/m) zur Hand. Im Normalbetrieb bei 50-150W spielt das aber keine so große Rolle, nur bei Bergstrecken und maximaler Leistungsabgabe des Akkus.
Zwei Jahre (sprich "Sommer") lang habe ich jede Radtour, jede Akku-Ladung akribisch dokumentiert, mit Software die Strecken aufgezeichnet, mit eigenen Tabellen die Ladekurven und Energie-Mengen für diese Fahrten ermittelt.
Die längste Tour auf meinem ‚Klappi‘ verlief über knappe 80km(!), bei einem Gesamt-Schnitt von knapp 19km/h und etwa 0,25kWh Stromverbrauch. Passt!
Dabei komme ich zu folgenden Erkenntnissen:
- bei Fahrten um 18-20km/h liefert der Motor im Mittel 60W, ich selber die restlichen 120W. Wenn Motor und ich es aushalten, reicht ein voller Akku also tatsächlich locker für 80km Fahrtstrecke aus; dafür ist man entsprechend runde vier Stunden unterwegs, zB auf dem Vulkanradweg in den Vogelsberg.
Zum Vergleich: mit aktivem PAS (und somit Geschwindigkeiten um 25km/h) werden ca. 180W vom Motor beigesteuert (die restlichen ca. 100W wiederum von mir)
- der elektrische Energieverbrauch im unterstützten Fahrbetrieb liegt demnach bei 3-4Wh/km, wenn man selber ordentlich zum Vortrieb beisteuert, z.B. auf Ebenen komplett auf Motorunterstützung verzichtet. Mit PAS liegt er hingegen bei ca. 6,4Wh/km.
- die Ladeverluste des mitgelieferten Netzteils sind recht gering. Es erwärmt sich zwar beim Laden, aber die gemessenen Energieflüsse IN den Akku entsprechen recht gut den auf Fahrten daraus abgegebenen Energiemengen über das vorab kalibrierten GT-PowerMeter. Ein 'leerer' Akku wird mit 80W (um zwei Ampere) geladen, nach drei Stunden regelt der Netzteil-Controller herunter, sodass ein komplett leerer Akku erst nach gut vier Stunden voll aufgeladen ist.
- Was man rechnerisch nicht ermitteln kann, ist die wahre Gesamtkapazität des "8Ah"-Akkus, da er mit Sicherheit vorzeitig abgeschaltet wird, um Schaden an den verbauten Li-Zellen zu verhindern. Man müsste den Standard-Tornister mal aufschrauben und die Zellen darin genauer inspizieren und zählen.
Kosten:
da dem 415Euro China-Pedelec eine Reihe zwingend notwendiger Anbauteile für die deutsche StVO-Konformität fehlten, habe ich diese zu Beginn meiner Fahrten besorgt und installiert: Rücklicht, Seitenreflektoren, Klingel, Spiegel; zudem einen netten Fahrrad-Computer zur Ermittlung der Fahrstrecken, Geschwindigkeiten, Zeiten etc. Dann noch ein paar Satteltaschen, den besagten Leistungs-Monitor von GTPower. Unterm Strich hatte ich also ca. 450Euro in dieses Fahrzeug versenkt, damit es ansehnlich und nicht zu auffällig wird im Straßenverkehr. Hierzulande verboten bleibt es wegen des ‚Moped‘-Gasdrehgriffs ohnehin.
Nach nunmehr über 1200km Gesamtfahrstrecke habe ich nur EIN Verschleißteil zu ersetzen: den Hinterreifen!
Dieser war bereits nach 700km deutlich abgefahren, das Profil 'wech'. Das dürfte wohl weniger dem *brutalen* Drehmoment des Heck-Nabenmotors als vielmehr der offenbar schlechten und weichen China-Gummimischung geschuldet sein, die man zudem nur mit maximal 2.9bar belasten darf. Der geringe Radumfang (1,50m) ist letztendlich ein weiterer Grund, denn die erreichbare Laufleistung liegt bei einem 20Zoll-Rad naturgemäß gut 30% unter der normaler 28Zoll-Tourenreifen. Aber solche 47-406er Reifen kosten nicht die Welt, um 10Euro das Stück. Ich habe diesem pechschwarzen Fahrrad nun einen Satz 'weiße Socken' zur Aufhellung seiner Erscheinung spendiert. Diese vertragen bis zu 4,5bar; ob dies die arg hohe Rollreibung etwas reduzieren wird?
Zweimal 'hakte' die hintere Scheibenbremse (ließ nach dem Bremsen nicht mehr los). Das lag aber an einem verklemmten Bowdenzug, dessen Endnippel sich unter den Satteltaschen irgendwie im Rahmen verfangen hatte. Die Bremsbeläge sind trotz Einsatz des Fahrrads im Mittelgebirge (Rhön, Vogelsberg) immer noch gut nutzbar.
Der Akku zeigt nach nunmehr 25 Ladezyklen keinerlei Schwächen, die Ladekurven und Spannungsverläufe während der Fahrt unter Last sind unverändert, ebenso die erzielbare Reichweite.
Wenn man 20% Abschreibung des Anschaffungspreises über fünf Jahre einkalkuliert, dann haben mich diese bisher 1200km um die 0,15Euro pro Kilometer gekostet, vergleichbar mit den Betriebskosten meines Benzin-Mokicks. Energiekosten spielen beim Pedelec so gut wie keine Rolle; die lagen bei weniger als 2,50Euro für den benötigten Ladestrom, trotz deutscher Weltrekord-Strompreise (Dank an unsere ‚Schmalspur-Physikerin‘ für diese weltweit diskutierte Glanzleistung!)
Dass man mit solch' einem simplen Elektro-Klapp-Fahrrad aus Fernost keine 15000km schaffen wird, war mir von Anfang an klar. Dass es aber für dieses geringe Geld doch erstaunlich brav seinen Dienst verrichtet, mir meine hessische Umgebung auf den vielen Fahrten durch die Natur (weil als Pseudo-Moped 'illegal' auf der Straße!) klaglos nähergebracht hat, hat mich doch angenehm überrascht.
Vor allem aber zwang es mich auf meine alten Tage, nicht nur meine müden Muskeln, sondern auch mein altes Schulwissen wieder etwas aufzufrischen. Mich mit Messdaten, Physik, Mathe und betriebswirtschaftlichen Kalkulationen auseinanderzusetzen, alles mal durchzurechnen:
Nach meiner letzten 70km-Tour hatte der Akku 240Wh abgegeben, ich selber ca. 420kcal beigetragen, weniger als den Brennwert einer 100g Tafel Schokolade! Nun ist aber Wirkungsgrad der menschlichen Beinmuskulatur (<=20%) NOCH schlechter als der dieses Klapprads. Das erklärt meinen Heißhunger nach der langen Tretarbeit...
Jetzt ist mein "JG-20" wieder eingemottet, der Akku bei 80% über den Winter hin im Haus gelagert.
Auf ein Neues, in 2021?
Nachtrag Nov 2020:
Meine Gemeinde-Verwaltung stellte mir probeweise ein „EBIKE Urban Metropolitan“ für Test- und Vergleichszwecke zur Verfügung. Ich hatte zwei Wochen Zeit, dieses Fahrrad auf den mir bekannten Strecken zu betreiben und die Erfahrungen zu relativieren. Mir ist durchaus bewusst, dass ich hier ‚Äpfel mit Birnen‘ vergleiche, denn das „EBIKE Urban“ kostet laut Recherche circa das SIEBEN-fache meines Samebike JG20, ist deutlich besser ausgestattet (Licht, Nabenschaltung..) und qualitativ hochwertiger (Bosch-Elektrik, Verarbeitung). Ob sich dieser Mehrpreis lohnt, hängt vom eigenen Anspruch sowie der geplanten Nutzung ab. Persönlich würde ich mir sicherlich lieber alle 5 Jahre ein neues China-Rad kaufen, und hätte theoretisch auch in 20 Jahren - mit 80 Lenzen! - wiederum ein nagelneues Fahrrad (plus etliche alte als Ersatzteillager). Das teure Urban Metropolitan und sein Akku werden in 2040 kaum noch brauchbar sein. Laut Medienberichten gibt es bereits heute Probleme bei der Beschaffung von Bosch-Ersatzteilen älterer Pedelec-Antriebe (Referenz: SWR Marktcheck-Sendung zu diesem Thema, 11.Jun 2019).
Hier noch eine kleine Übersicht der Vergleichs-Daten, teilweise selber ermittelt, gemessen bzw. berechnet:
Eine Betrachtung der mittleren Reibungskräfte beider Fahrräder im Vergleich zeigt das Dilemma des billigen China-Klapprads deutlich: während das EBIKE Urban Metropolitan bei 20km/h ca. 16Newton an Bremskräften (Lager, Reifen, Luftwiderstand etc.) generiert, sind es beim Samebike JG20 über 10 Newton (1kp) mehr.
Diese 10N Differenz mögen klein erscheinen, bedeuten aber im Umkehrschluss: auf dem China-Fahrrad fährt man rechnerisch ständig auch in der Ebene bergauf. Die Differenz entspricht ziemlich genau einem permanenten, zusätzlichen Anstieg von einem Grad mehr, wenn man den Kraftaufwand als Hangabtrieb interpretiert: beim Samebike geht es stets mit 2,4% bergauf, beim EBIKE Urban nur mit 1,4%. Das ist ein spürbarer Unterschied, der gerade bei Ausrollversuchen s=f(v0) das leichtgängigere Fahrrad eindeutig identifiziert.