Wer haftet denn heute für eine medizinische Fehldiagnose oder Falschbehandlung? Wenn selbst ein Apotheker, der Menschen die wirksame Krebsbehandlung vorenthalten hat, letztendlich nur wegen Abrechnungsbetrug verurteilt werden konnte, stelle ich mir schon die Frage wo beginnt heute überhaupt noch die Haftung außer bei offensichtlichen Kunstfehlern wie vergessenem Besteck o.ä.
Heute landet die Regulierung eines Schadens, der aus irgendeiner Haftung begründet wird, mit >95%iger Wahrscheinlichkeit bei irgendeiner Versicherung. Warum sollte das in Zukunft anders sein? Und welche Versicherung am Ende zahlen soll, darüber dürfen und werden Juristen sich gerne mit viel Aufwand streiten, sichert ja deren Lebensunterhalt.
Jetzt erwischt du mich auf einer meiner Schwerpunkttätigkeiten, nämlich dem Arzthaftungsrecht. Selbstverständlich haftet der Apotheker wie auch Ärzte (und Krankenhausträger für das Verschulden ihres Personals) persönlich auf Schmerzensgeld und Schadenersatz, darüber würde sich ein Jurist keine großen Gedanken machen. Der Haftpflichtversicherer haftet in diesem Bereich aber - anders als im Kfz-Bereich - nicht direkt. Der Versicherer muss den Apotheker, den Arzt, das Krankenhaus nur von Ansprüchen Dritter freistellen. Das Problem ist, dass der Apotheker - im Unterschied zu Behandlungsfehlern, Diagnosefehlern usw, die in der Regel auf Fahrlässigkeit oder bestenfalls grober Fahrlässigkeit beruhen - vorsätzlich handelte und bei Vorsatz ein Haftpflichtversicherungsausschluß greift. In Ermangelung einer Direkthaftung kann der Patient nicht direkt an den Haftpflichtversicherer herantreten. Die Ausnahme, nämlich wenn über das Vermögen des Apothekers, des Arztes, des Krankenhauses das Insolvenzverfahren eröffnet ist, § 110 VVG, greift nicht, weil der Haftpflichtversicherungsschutz bei Vorsatz von vorherein ausgeschlossen ist, der Haftpflichtversicherer seinen Versicherungsnehmer also nicht freistellen muss.
Ich kann dir versichern, dass ich schon viele Ärzte vertreten musste, die wegen Behandlungsfehlern etc. erfolgreich gerichtlich in Haftung genommen wurden und nicht nur bei offensichtlchen Kunstfehlern. Nur der Kunstfehler muss erst mal bewiesen werden. So lange nur Fahrlässigkeit oder grobe Fahrlässigkeit im Spiel ist, zahlen die Haftpflichtversicherer. Auch hier gibt es aber Haftpflichtversicherer, die sorgfältig prüfen (z.B. Gutachten einholen) und regulieren, wenn ein intern eingeholtes Gutachten Fehler und Kausalzusammenhänge mit den gesundheitlichen Folgen bejaht, und solche, die von vornherein erst mal blocken und abwarten, ob der Patient den Mut und die finanziellen Möglichkeiten hat, sich auf einen jahrelangen Rechtsstreit einzulassen.
In anderen EU-Staaten gibt es auch andere Modelle, z.B. staatliche oder von Ärzten und Krankenhäusern finanzierte Entschädigungsfonds. In diesen Fällen ist die Durchsetzung von Ansprüchen zwar einfacher, die geschädigten Patienten erhalten aber nicht selten nur einen Bruchteil dessen, was sie in Deutschland erstreiten könnten, da die Höhe einer Entschädigung von vorherein begrenzt wird.
Sorry für so viel OT.
Die Problematik bei der KI in der Medizin ist, dass nach derzeitiger Rechtslage Unsicherheiten vorhanden sind, wer bei Fehlern der KI haftet. Die Verschuldenshaftung, also die Haftung für Fahrlässigkeit und grobe Fahrlässigkeit (oder auch Vorsatz), egal ob aus Behandlungsvertrag oder Delikt, setzt immer das Verschulden einer natürlichen Person voraus. Die KI ist aber keine natürliche Person. Soll der Arzt, der sich z.B. auf die Befundauswertung durch die KI verlässt, dafür haften, dass er sich auf die KI verlässt? Dann wäre der Arzt bescheuert, wenn er eine KI einsetzt. Es müsste im medizinischen Bereich eine Gefährdungshaftung wie im Straßenverkehrsrecht eingeführt werden, die es nach derzeitiger Rechtslage aber so nicht gibt. Im Fall einer Gefährdungshaftung werden die Versicherungsprämien in die Höhe schießen. Es gibt heute schon große Kliniken wie z.B. Universitätskliniken und Klinikkonzerne, die keine Haftpflichtversicherung mehr finden bzw. nur zu wahnsinnigen Prämien finden und deshalb Selbstzahler sind, nur weil sie (was die Höhe der Entschädigungszahlungen betrifft, nicht die Anzahl der Behandlungsfehlerfälle) risikoträchtige Abteilungen wie die Geburtshilfe, Chirurgie und Unfallchirurgie besitzen.
Es gibt so etwas ähnliches wie eine Gefährdungshaftung im Arzthaftungsrecht, nämlich die Haftung für vollbeherrschbare Risiken oder Gefahren, weshalb der Patient ein Verschulden nicht mehr beweisen muss. Die ärztliche Seite muss beweisen, dass kein Verschulden vorliegt (Beweislastumkehr). Beispiel für vollbeherrschbares Risiko: die im Krankenhaus angestellte Krankenschwester begleitet einen gehbehinderten Patienten in den Röntgenraum und der Patient stürzt dabei. Ein Sturz ist immer vermeidbar, z.B. durch den Transport des gehbehinderten Patienten im Rollstuhl oder Krankenbett. Auch dein Beispiel der bei OPs vergessenen Gegenstände fällt hierunter, weil es eine Zählkontrolle durch die OP-Schwester vorher und nachher gibt. Das Vergessen von Gegenständen ist immer vermeidbar, wenn man richtig kontrolliert. Ich hatte mal einen Fall, in dem bei einer Herzoperation (Einsatz einer künstlichen Herzklappe) ein Mitralklappensperrer vergessen wurde und dies erst 2 Jahre später bei einer Röntgenaufnahme des Brustkorbes bemerkt wurde.
Nur bezogen auf die KI: Ist die KI vollbeherrschbar, wenn sie erst einmal selbständig arbeitet?